Das Meer ist eine düstere
Fläche, auf der sich Regenwolken niederlegen, als wären sie des
Tages überdrüssig.
Sóley I'll Drown
Das Meer ist eine düstere Fläche, auf der sich Regenwolken niederlegen, als wären sie des Tages überdrüssig. Der Wind zerrt ungerührt an den Haaren des Mädchens, legt ihr Kühle auf die Stirn. Sie steht und schaut wortlos auf den Horizont. Und für einen Moment, die nackten Zehen im nassen Sand, dort, wo die Düsternis des Wassers beginnt, schliesst sie die Augen. Kälte fasst sie, wieder und wieder, übertönt den Wind in ihrem Kopf, in ihrer Wahrnehmung. Langsam bricht das Grollen und Schlagen der Brandung zu ihr hervor, sickert Welle für Welle durch den Widerstand, endgültig loszulassen. Es ist eine Art bedrohliche Eintönigkeit, für die sie aber dankbar ist. Das Wollen, das Sollen, alles verschwindet nach und nach hinter diesem sandgrauen Schleier.
Nach Momenten dieses
stillen Rauschens erwacht sie. Spürt erneut die Kälte auf ihrer
Haut, den Wind, der sie schieben und ziehen und umherwirbeln will.
Sie erinnert sich an die Kamera in ihrer Hand und blickt durch den
Sucher. Löst aus. Löst aus. Löst aus. Hält das Meer fest, wie es
sie festhält. Das Kreischen der Möwen zwischen dem Auslösen lässt
sie aufblicken. Die Vögel treiben mit ausgebreiteten Flügeln durch
die bildgewordene Agonie eines herannahenden Unwetters. Der Blick des
Mädchens haftet an ihnen unentwegt, als wünschte sie sich, mit
ihnen über allem zu schweben. Alles von oben, statt von unten zu
beobachten. Schließlich richtet sie die Linse gen Himmel, löst aus,
wieder, wieder, doch da oben sind plötzlich nur noch Wolken.
Irritiert schaut sie umher, unruhig. Eine Möwe stößt mit einem
Schrei wie aus dem Nichts herab, segelt scharf über die
Wasseroberfläche, dreht schnell ab, zu schnell für sie und ihre
Kamera. Enttäuschung breitet sich aus.
„Bist du Fotografin?“,
wird sie plötzlich von der Seite angesprochen.
Das Mädchen lächelt
knapp. „Ja.“
„Fühlst du dich
gestört?“ Ihr Gegenüber, ein Mann kaum älter als sie selber und
mit strähnigem, langen Haar und blauen Augen, lächelt zurück. Aber
breiter. Nicht entschuldigend. Eher aufmunternd.
„Nein, schon gut.“
Sie versucht unwillkürlich, Möwen am Himmel zu entdecken. Wird von
dem Fremden ertappt, der nun ihren Blicken folgt.
„Nicht so einfach, die
sind fix.“
„Wer?“
Er deutet auf einen der
Vögel, der sich wie aus dem Nichts kommend in die Höhe schraubt,
ebenso so halsbrecherisch wie gekonnt zur Erde rast, abdreht und
zwischen den Häusern am Strand verschwindet.
Sie seufzt und lässt die
Kamera sinken. „Nein, wirklich nicht so leicht.“
„Dort drüben sind
immer viele in Sichtweite der Strandbars. Würde da mal nachgucken.“
Tatsächlich neugierig
geworden, folgt sie seiner Geste Richtung Strandpromenade. „Die
sitzen da ja nur“, stellt sie fest. Und das noch geringschätziger,
als beabsichtigt.
„Soll ich sie für dich
aufscheuchen?“ Der Fremde lacht, die Hände in den Hüften. Er hat
ein bisschen Sonne und Salz im Haar, überlegt sie. Hebt die Kamera
und macht ein Foto von ihm.
„Hey, deine Models sind
da drüben! Warte.“ Er schüttelt lachend den Kopf, dreht sich um
und sprintet zu den Möwen. Diese zögern erst, ob dieser Mensch es
ernst meint und doch eher grundlos auf sie losgeht. Als er
schließlich „Losloslos!“ schreit und mit den Armen wirbelt,
steigen sie kreischend auf, wirbeln unkoordiniert durch die Luft,
fangen sich und segeln dann wieder gewohnt elegant unter den Wolken
entlang.
Sie macht Fotos, viele,
viele Fotos, hintereinander, klackklackklack - und hört erst auf,
als sich scheinbar alle Möwen vollends verflüchtigt zu haben
scheinen. Nur noch das Meer rauscht und der Wind zerrt an ihrem Haar,
ihren klammen Händen mit der Kamera. Dann beginnt der Regen.
Sekunden später steht
sie in einer Strandbar, die Kameratasche geschultert, die sandigen
Schuhe in der Hand und nach Atem ringend. Ihr Blick fällt auf den
Strand. Es ist niemand zu sehen. Der Regen auf dem Wasser, der Regen
gegen die Fenster ist lauter als die Brandung. Das düstere Meer
zerfließt im Grau des Himmels. Alles ist leer.
„Du bist aber auch ganz
schön schnell. Einen Tee?“ Da steht der Fremde durchnässt vor
ihr, schaut sie fragend an und rubbelt sich die Haare mit einem
Handtuch trocken.
„Ich- ja. Gerne.“
Als dann frische
Pfefferminzblätter in heißem Wasser dampfen, stehen sie im Eingang
der Bar und blicken nur stumm nach draußen. Der Regen lässt nach.
Das Schweigen wohl auch, muss sie sich eingestehen. Sie seufzt.
„Nichts dabei gewesen,
bei den Fotos?“
„Hab noch gar nicht
nachgeschaut“, murmelt sie, holt den Apparat aus der Tasche und
lässt sich die bisherigen Bilder auf dem Kameradisplay anzeigen. Der
Fremde lehnt leicht an ihrer Schulter und schaut zu.
„Sind doch gut
geworden“, sagt er dann.
„Ja, sind ok.“
„Nicht zufrieden?“
„Doch.“
„Aber?“
Sie zuckt mit den
Schultern und packt die Kamera zurück in die Tasche. „Passt schon.
Danke sehr. Du hast mir auf jeden Fall sehr geholfen.“ Sie maskiert
ihr plötzliches Unwohlsein mit einem schiefen Lächeln.
„Und jetzt...“
beginnt er, übergeht so ihre Reaktion und deutet mit einem
Kopfnicken nach draußen, „... scheint sogar wieder die Sonne.
Würde ich mir nicht entgehen lassen.“ Und während er das sagt,
klemmt er sich ein Surfbrett unter den Arm und klopft ihr auf die
Schulter. „Bis später dann vielleicht!“
Mein Zug zurück geht
gleich, will sie sagen, aber sie hebt nur halb die Hand und
lächelt schließlich einfach. Und wie ein Regentropfen auf das Meer
wird er verschluckt und ist fort.
Ich widme diese fast schon schnulzige Kurzgeschichte dem netten holländischen Ehepaar, das eine hungrige Pseudo-Autorin ungefragt mit Schokolade fütterte, als diese während der Fahrt Den Haag-Enschede wie eine Wahnsinnige auf ihr Macbook einhämmerte, um die Geschichte aus ihrem Kopf zu bekommen. Und sie brachten ihr bei, Goedenavond! zu sagen. Hartelijk dank!
das giiiiiiiiiif! o.O toll!
AntwortenLöschendanke :)
Löschenwunderschöner text <3
AntwortenLöschendanke :) <3
Löschentotal wunder-wunderschöner blog, du hast eine treue leserin mehr :)♥♥
AntwortenLöschenAwwh, danke sehr :D Und es freut mich auch so sehr, wenn Leser mein Kurzgeschichten und Gedanken mögen, war erst so unsicher, sowas hier zu veröffentlichen (bezogen auf deine weiteren Kommentare hier im Blog, siehe "Nackt ist die neue Zierde") :)
LöschenWunder wunderschön! Nichts mit Pseudo-Autorin.
AntwortenLöschenIch würd ein Buch mit solchen Geschichte auch kaufen!
Danke, dass wir sie hier kostenlos lesen dürfen ;)
Ach, danke, das ist Balsam für mein von Selbstzweifeln geplagte Herz :D♥
LöschenHallo,
AntwortenLöschenwirklich tolle Bilder in Deinem Blog - ich werde, insofern genehm, gerne wieder kommen und stöbern.
Herzlichst
Markus
Das freut mich - und natürlich, sehr gerne jederzeit :D
Löschenich mag dein design, es ist echt soooooo toll! :))
AntwortenLöschenDanke sehr :) Hoffe, der Inhalt kann auch überzeugen :p
Löschentolle animation. wie hast du das gemacht?
AntwortenLöschenDanke! Gefilmt mit dem iPhone, Videofilter drüber gelegt und mit Photoshop eine Sequenz als animiertes GIF abgespeichert.
LöschenAlso,deine Worte..sie sind besonders.Berührend und echt.
AntwortenLöschenLiebste Grüße,Mia
Hach... danke, das freut mich so sehr <3 <3 <3
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